Sie steht anfangs unter dem Eindruck des Spätexpressionismus, führt über die Auseinandersetzung mit Cézanne und der französischen Moderne in den ersten Nachkriegsjahren kurzzeitig zu einem eigentümlichen, bisweilen rokokohaften Romantizismus, um schließlich seit den 50er Jahren unter dem Eindruck von so unterschiedlichen Meistern wie Picasso, Marc Chagall, Oskar Schlemmer, Max Ernst, Paul Klee und anderen Vorbildern den Anschluss an die Moderne zurückzufinden.
Das Alterswerk schwankt zwischen ornamentaler Abstraktion und poetischer Naturverklärung, wobei Mikrokosmos und Makrokosmos in eins zusammenfallen.
Mit dieser Fremdorientierung und Widersprüchlichkeit spiegelt das Gesamtwerk exemplarisch die Situation vieler Künstler wider, die nach dem Zweiten Weltkrieg einen Neubeginn und zugleich den Anschluss an internationale Entwicklungen suchten.
Bilder und Blätter
Die von Walter Lindgens zusammengetragene Grafiksammlung dokumentiert begleitend die skizzierte Entwicklung.
Als junger Mann hatte er noch vornehmlich von der damaligen künstlerischen Avantgarde illustrierte Bücher und Zeitschriften wie „Querschnitt“ oder „Genius“ gesammelt und natürlich auch die Mappenwerke seiner Lehrer. Blätter von Erich Heckel, Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner, Ernst Barlach, Lovis Corinth und vielen anderen zeigen sein waches Interesse an den neuesten Entwicklungen.
Das nach 1945 gesammelte Material belegt hingegen wohl weniger seine persönlichen Neigungen, eher seine weitreichenden Kontake zu Kollegen. Denn viele dieser Blätter sind vermutlich auf dem Tauschweg in seine Hand gelangt und somit Ausdruck freundschaftlicher Bindungen vor allem in der rheinisch-kölnischen Szene ab 1950, die sich allein schon durch seine Vorstandstätigkeit im WBK ergaben.
Größere Konvolute Stammen von dem Maler Peter Herkenrath (1900-1992) und dem Bildhauer Gerhard Marcks (1889-1981), mit denen er wohl enger befreundet war. Auch zu dem Maler Emil Flecken (1890-1981) muss es eine engere Bindung gegeben haben.
Eine große Zahl weiterer rheinischer Künstler ist mit einem oder auch mehreren Blättern vertreten. Es heißt, der vermögende Lindgens habe nicht selten Blätter angekauft, um notleidende Berufskollegen finanziell zu unterstützen.
Besondere Hervorhebung verdient seine Freundschaft mit Marc Chagall (1889-1985), insbesondere mit seiner Frau Vava, die Lindgens mehrmals porträtiert hat.
Neben den künstlerisch gestalteten Neujahrgrüßen Chagalls aus vielen Jahren haben sich kostbare, Walter Lindgens persönlich zugeeignete Bände mit Originallithographien erhalten.
Darüber hinaus gestattet die umfangreiche Korrespondenz des Künstlers mit Malern seiner Zeit tiefe Einblicke in die Situation nach 1945. Viele wertvolle Autographen von bekannten Größen der Zeit geben zu erkennen, wie schwer doch der Neuanfang nach Kriegsende für viele gewesen sein muss.
Wenngleich dieser Bestand noch nicht ausgewertet worden ist, so ist seine kultur- und kunstgeschichtliche Bedeutung für das Rheinland schon jetzt deutlich. Seine systematische Erschließung ist eine lohnenswerte Aufgabe für die Zukunft.